Frauen und Männer auf Reisen erleiden unterschiedliche Krankheiten
16 March 2010
Erstmals bildet der Zusammenhang zwischen Geschlecht und
Reisekrankheiten Gegenstand einer systematischen Untersuchung: Patricia
Schlagenhauf vom Zentrum für Reisemedizin der Universität Zürich hat mit
ihrem Team die Daten von 58’908 Patientinnen und Patienten ausgewertet,
die zwischen 1997 und 2007 eine von 44 GeoSentinel-Kliniken aufgesucht
haben.
Bei letzteren handelt es sich um ein globales Netz aus Kliniken für
Reisekrankheiten. Die Ergebnisse sind soeben in der
Wissenschaftspublikation «Clinical Infectious Diseases» erschienen.
Sie zeigen, dass das Geschlecht ein wichtiger, die menschliche
Gesundheit beeinflussender Faktor ist: Es prägt mit, für welche
Krankheiten Frauen und Männer anfällig sind.
Öfter als Männer erkranken Frauen auf Reisen an akuter und
chronischer Diarrhöe, an einem Reizdarmsyndrom, an einer Infektion
der oberen Atemwege, an Mund- und Zahnbeschwerden und an
Medikamentenunverträglichkeiten. Männer hingegen leiden insgesamt
öfter an Fiebererkrankungen, an Infektionskrankheiten, die durch
Mücken übertragen werden, wie etwa Malaria, sowie an sexuell
übertragbaren Infektionen. Sie sind zudem häufiger Opfer von viraler
Hepatitis, von nicht-infektiösen Beschwerden wie
Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie von akuter Höhenkrankheit und von
Erfrierungen. Männer, die auf Reisen krank werden, werden zudem
häufiger hospitalisiert als Frauen.
Nicht die Risikofreude von Männern, sondern ihre
Duftstoffe ziehen Malariamücken an
Gründe, weshalb Männer die attraktiveren Wirte für Malariamücke
sind, gibt es mehrere. Einer von ihnen liegt darin, dass Männer mehr
von den bevorzugten Duftstoffen produzieren: «Die Mücken orientieren
sich bei ihrer Suche nach Blut an Gerüchen. Zu den bevorzugten
Duftstoffen gehören Kohlendioxid, Schweiss und flüchtige
Hautpartikel, und von all diesen Stoffen produzieren Männer mehr als
Frauen.» erläutert Patricia Schlagenhauf und ergänzt: «Hinzu kommt,
dass Insektenschutzmittel wasserlöslich sind. Wer also rasch ins
Schwitzen kommt – was Männer wiederum häufiger tun, als Frauen –,
muss das Insektenschutzmittel wiederholt auftragen, um zuverlässig
geschützt zu sein.» Für die These, dass sich Männer auf Reisen
risikofreudiger verhalten und öfter der Gefahr aussetzen als Frauen
und deshalb häufiger zum Opfer von Malaria werden, liefert die
Studie keine Hinweise.
Folgerungen für die Praxis
«Die Präventivreisemedizin sowie auch die künftige
Reisemedizinforschung sollen geschlechtsspezifische
Interventionsstrategien entwickeln und die unterschiedliche
Anfälligkeit der Geschlechter für die verschiedenen Krankheiten
berücksichtigen», fordert Schlagenhauf für die Zukunft. Konkret
sollte die geschlechtsspezifische Beratung insbesondere den Frauen
Mittel zur Selbstbehandlung von Harninfekten und Diarrhöe in die
Hand geben. Die Beipackzettel von Medikamenten sollten präzise,
geschlechtsspezifische Informationen zur Verträglichkeit enthalten,
und die Angaben zur Dosierung müssen an die unterschiedlichen
Bedürfnisse der Geschlechter angepasst werden. Für beide
Geschlechter relevant ist der Schutz vor Moskitos, doch sollen
Männer hierzu vertiefende Informationen erhalten. Dies gilt auch für
die Prävention von sexuell übertragbaren Krankheiten. Denn Männer
haben häufiger als Frauen spontanen Sex auf Reisen, und eine
Safer-Sex-Beratung fehlt in der heutigen Reisemedizinpraxis in der
Regel.
Abzuklären gilt schliesslich, wie diese Informationen die
männlichen Reisenden erreichen können: Denn die Studie zeigt, dass
sich Frauen vor Antritt ihrer Reisen signifikant häufiger beraten
lassen als Männer.