Bonner Forscher bringen mit Licht das Herz ins Stolpern
4 Oct 2010
Wissenschaftler der Universität Bonn haben Herzmuskelzellen so
verändert, dass sie sich durch Licht steuern lassen. In gentechnisch
veränderten Mäusen konnten sie so durch gezielte Beleuchtung
beispielsweise Herzrhythmusstörungen auslösen. Die Methode eröffnet
völlig neue Möglichkeiten, die Entstehung derartiger Arrhythmien zu
erforschen. Die Studie erscheint in der kommenden Ausgabe von „Nature
Methods“, ist aber bereits ab dem 3. Oktober online abrufbar (doi:
10.1038/nmeth.1512).
Tobias Brügmann und seine Kollegen vom Institut für Physiologie I
der Uni Bonn nutzten für ihre Versuche ein so genanntes „Kanal-Rhodopsin“.
Dabei handelt es sich um eine Art Lichtsensor, der in der
Zellmembran gleichzeitig als Schleuse für elektrisch geladene
Teilchen dienen kann. Bei Bestrahlung mit blauem Licht öffnet sich
diese Schleuse, und positiv geladene Ionen strömen in die Zelle.
Dadurch verändert sich die Spannung an der Zellmembran, und
Herzmuskelzellen können so zur Kontraktion angeregt werden.
„Wir haben Mäuse genetisch so verändert, dass sie im Herzmuskel
Kanal-Rhodopsin bilden“, erklärt Professor Dr. Bernd Fleischmann vom
Institut für Physiologie I. „Durch Beleuchtung konnten wir so den
elektrischen Zustand im Mäuseherzen nach Wunsch verändern. Auf diese
Weise konnten wir beispielsweise gezielt Rhythmusstörungen der Vor-
oder Hauptkammern auslösen.“
Derartige Arrhythmien - Mediziner sprechen auch vom
Kammerflimmern - sind die häufigste Todesursache nach einem
Herzinfarkt. Sie entstehen, wenn massenhaft Zellen im Herzen
absterben und durch Bindegewebe ersetzt werden. „Dieses Narbengewebe
hat andere elektrische Eigenschaften als der gesunde Herzmuskel“,
sagt der Leiter der Studie Professor Dr. Philipp Sasse. „Und dadurch
kommt das Herz ins Stolpern.“
Doch warum ist das so? Normalerweise breiten sich von einem
natürlichen Taktgeber elektrische Impulse über das Herz aus. Das
geschieht zeitlich und räumlich streng koordiniert, so dass es zu
einer genau abgestimmten Kontraktion kommt. Wenn sich jedoch ganze
Muskelbereiche elektrisch entkoppeln, funktioniert das nicht mehr:
Bestimmte Herzteile pulsieren plötzlich in ihrem eigenen Takt. Der
Blutfluss kommt dadurch nahezu zum Erliegen.
Die Bonner Wissenschaftler können diese Entkopplung nun durch
Bestrahlung mit blauem Licht auslösen. Dabei können sie sich auf
wenige Zellen beschränken oder alternativ größere Bereiche des
Herzens steuern. So können sie beispielsweise herausfinden, welche
Regionen des Hohlmuskels auf elektrische Störungen besonders
sensibel reagieren.
Doch warum reizt man den Herzmuskel nicht einfach über Elektroden
und bringt ihn so aus dem Takt? „Das macht man zwar auch“, sagt
Professor Sasse. „Diese Methode hat aber unerwünschte Nebenwirkungen:
Wenn der elektrische Reiz länger als wenige Millisekunden andauert,
werden toxische Gase produziert, und der pH-Wert verändert sich.“
Die Folgen eines Infarktes, der ja zu dauerhaften
Gewebeschädigungen führt, lassen sich durch eine elektrische
Kurzzeitreizung natürlich nur äußerst eingeschränkt studieren. Die
Lichtstimulation ist dazu viel geeigneter: Die Zellen überstehen
auch eine minutenlange Bestrahlung problemlos.
Der Einsatz von Kanal-Rhodopsinen in der medizinischen Forschung
ist im Prinzip nicht neu. Sie kommen allerdings bislang vor allem in
den Neurowissenschaften zum Einsatz. So können Wissenschaftler mit
diesen Licht-Kanälen das Verhalten von Fliegen oder Mäusen steuern -
allein durch Bestrahlung mit Blaulicht.
Reference
Tobias Bruegmann, Daniela Malan, Michael Hesse, Thomas Beiert,
Christopher J Fuegemann, Bernd K Fleischmann & Philipp Sasse.
Optogenetic control of heart muscle in vitro and in vivo. Nature
Methods, Advance Online Publication, 3. Oktober 18 Uhr GMT, doi:
10.1038/nmeth.1512